Im Labor der Bundesanwaltschaft: Wie ein RAF-Phantom entsteht

Neue "RAF" wird an den Haaren herbeigezogen/Behörde zeigt Nerven

So ärgerlich die substanzlose Geschichte mit der angeblichen "Neuen RAF" auch ist - wir dürfen für diesen Fall trotzdem dankbar sein. Gibt er uns doch die einmalige Gelegenheit, einen Blick in das Labor der Bundesanwaltschaft zu tun und direkt mitzuverfolgen, wie ein neues RAF-Phantom entsteht.

Man nehme:

- irgendeinen Überfall, am besten Bank oder Geldtransport

- man behaupte: bei diesem Überfall wurden Spuren von bestimmten Personen gefunden

- man behaupte weiter, daß diese Personen Geld nicht nur so rauben, sondern damit bestimmt eine neue Terror-Gruppe gründen wollen

- man speise nun den ganzen Behauptungsbrei in die nationale Pressemaschine ein und würze ihn mit pseudoseriösen Hinweisen, daß dadurch aber noch nichts bewiesen sei - für den Fall, daß das Ganze später als der Käse entlarvt wird, der es ist. Machts nichts: gefressen wird das Futter auf jeden Fall, und sogar nachgewürzt wird es von den Kollegen. Plötzlich gibt es nicht nur einen angeblichen Verdächtigen für den Rohweddermord , nein, das Attentat ist sogar aufgeklärt.

Beweise? Fehlanzeige.

Wie gesagt, dürfen wir für diesen Vorgang dankbar sein, denn so und nicht anders ist bereits die sogenannte Dritte Generation der "RAF" entstanden - als PR- und Medien-Operation der Bundesanwaltschaft. Über Taten mit einem ganz anderen Hintergrund stülpte sie ihre Behauptungsglocke und behinderte so auch ernsthafte Ermittlungen in die richtige Richtung.

Zum Detail:

Nicht nur am Rohwedder-Tatort, nach Zeitungsberichten sollen nun auch noch am Herrhausen-Tatort Haare gefunden worden sein. Das kann nur eins heißen: eine neue "RAF" soll an den Haaren herbeigezogen werden.

Die neuen Erkenntnisse dürfen wir dem "Spiegel" vom heutigen 21.5.01 entnehmen, und altbekannte Scharfmacher wie Rupert Scholz (Doktorvater von Peter Gauweiler) ermahnen nun zur "Wachsamkeit". Die neuen Mitglieder der "RAF" besäßen «unveränderte terroristische Militanz», warnte Scholz in der Berliner Zeitung «B.Z.»

Wir haben uns jahrelang mit den Unterlagen zu diesen beiden Tatorten beschäftigt; von Haaren war dort nie die Rede. Selbst das Bundeskriminalamt räumte am 21.5.01 gegenüber einem Redakteur der Talksendung "Maischberger" ein, daß in seinen Verlautbarungen von einem Handtuch und Haaren am Rohwedder-Tatort noch nie die Rede war. Das ist merkwürdig, denn die restlichen Gegenstände am Tatort wurden genau beschrieben: Der Gartenstuhl, das Fernglas, die Patronenhülsen (redet eigentlich noch jemand von denen?). Bereits bezüglich wesentlich einfacher zu identifizierender Funde am Tatort haben sich die Ermittler schon unmittelbar nach dem Herrhausen-Attentat in Widersprüche verwickelt. Zum Beispiel konnten sie sich nicht einigen, ob sie den für eine Lichtschranke notwendigen Reflektor nun gefunden haben oder nicht. Zumindest am Herrhausen-Tatort kann es auch keine Haare gegeben haben, jedenfalls keine aussagekräftigen. Denn hier handelt es sich um eine relativ stark frequentierte Straße, durch die auch Busse fahren. Außerdem bewegen sich in diesem Bereich zahlreiche Schulkinder, Busfahrgäste und Besucher der Taunustherme, die wahrscheinlich alle zusammen dort täglich Hunderte von Haaren verlieren.

Es ist also ohnehin schon sehr schwierig, hier irgendwelche gefundenen Haare dem Tatort beziehungsweise Tatvorgang zuordnen zu wollen. Der Herrhausen-Tatort ist aber überdies ein ganz besonderer Tatort. Denn hier gab es eine enorme Explosionsdruckwelle - nämlich der Bombe, die Herrhausen tötete. Sie sorgte dafür, daß sich die nicht lange vor dem Attentat verstärkten Scheiben des in der Nähe befindlichen Hallenbades "Taunus-Therme" erheblich durchbogen. Was hat sie erst mit irgendwelchen Haaren angestellt, die vielleicht im Bereich des Tatortes lagen?

Auf ähnliche Schwierigkeiten stößt man prinzipiell natürlich auch am Rohwedder-Tatort: Gärten, Gras, Wiesen, Wind und Wetter (1. April). Haare verflüchtigen sich dort schnell, können andererseits aber auch schnell dorthin verschleppt werden. Zwar hat man die Haare angeblich auf einem Handtuch gefunden. Dafür müßte aber erstmal zweifelsfrei geklärt werden, daß das Handtuch von den Tätern stammt und nicht schon lange da lag oder sogar dort platziert wurde.

Soweit die jüngsten Konstruktionen zum Thema "Dritte Generation".

Der Verdachtsmoment in Sachen "Neue RAF" ist ein Überfall auf einen Geldtransporter in Duisburg-Rheinhausen mit mehr als einer Million Mark Beute am 30. Juli 1999. Dabei konnten angeblich nicht näher beschriebene "Abriebspuren" im Fluchtfahrzeug und Speichelreste in einem bei dem Raub verwendeten Motorradhelm mit Hilfe einer DNS-Analyse den beiden angeblichen "RAF" Leuten Staub und Klette zugeordnet werden. Angeblich, wohlgemerkt, denn die Hilfsbehörde der Bundesanwaltschaft, das BKA, ist am letzten angeblichen "RAF"-Tatort durch massenhafte Manipulation von Beweismitteln aufgefallen: Bad Kleinen. Einer solchen Ermittlungsbehörde kann man natürlich kein Vertrauen mehr schenken. Das gilt auch für die oben genannten Fälle.

Die Spuren an Helm und Auto reichen für sich genommen jedoch ohnehin nicht: Vielleicht hatten die beiden die Utensilien nur verliehen, so wie unser Bundesaußenminister seinen VW-Bus, in dem immerhin Waffen transportiert wurden? Wenn solche "Beweise" zwingend wären, dann gehörte es sich doch, daß der Generalbundesanwalt umgehend Herrn Fischer auf die Anklagebank setzt.

Man sieht: Wenn die Bundesanwaltschaft einen Verdacht äußerst, heißt das erstmal noch lange nichts. Und zwar auch und vor allem deshalb, weil ihre Verdachtskonstruktionen in der Vergangenheit am laufenden Meter in sich zusammenbrachen. Die angeblichen Top-RAF-Leute Christoph Seidler (früher als Herrhausen-Täter verdächtigt) und Barbara Meyer mußten sang- und klanglos auf freien Fuß gesetzt werden. Andrea Klump (früher ebenfalls HH-Verdächtige) konnte nicht einmal wegen Mitgliedschaft in dem Dunkelmann-Verein verurteilt werden. Schwer zu glauben, daß dann aber ihr in Wien erschossener Lebensgefährte Horst-Ludwig Meyer ein richtiger "RAF"-Mann gewesen sein soll - hatten sich die beiden etwa total auseinandergelebt?

Ausgerechnet die Bundesanwaltschaft, die in den wesentlichen Fragen in Sachen "RAF" in den letzten 15 Jahren überhaupt keinen richtigen Verdacht mehr geäußert hat, will nun erzählen, sie hätte die Spur einer neuen "RAF" entdeckt? Staub und Klette lassen sich jedoch schon mit dem Geldtransporter-Überfall, wenn überhaupt, dann nur locker in Verbindung bringen. Und woraus schließen die Ermittler, die es bei den "RAF"-Attentaten seit 1985 auf eine Aufklärungsquote von Null Prozent gebracht haben, daß ausgerechnet diese Täter nun eine neue "RAF" aufmachen?

Es sei eine "lebensfremde Annahme", daß sich Staub und Klette nun als "normale Schwerkriminelle ohne revolutionäres Ziel" betätigten, meint die Sprecherin der Bundesanwaltschaft. Ist das alles? Indizien, Beweise? Null. Ganz im Gegenteil. Denn der Überfall ist bereits zwei Jahre her. Solange haben sich die beiden, sollten sie es überhaupt gewesen sein, schon als normale Schwerkriminelle betätigt. Für einen Zeitraum von zwei Jahren ist die Behörde also bereits widerlegt.

Solche und ähnliche wilde Behauptungen führen dazu, daß nun selbst treue Anhänger des bundesanwaltlichen Thesen von einem RAF-Phantom von der Bundesanwaltschaft abfallen. "Wenn etwas lebensfremd ist", so die taz, "dann diese Behauptung der Bundesanwaltschaft." Bereits eineinhalb Jahre ist es her, daß die Behörde mit Hilfe des BKA angeblich Spuren vom Tatort des Geldtransportüberfalls als die von Volker Staub identifizierte. Seither ist aber nichts an neuen "Erkenntnissen" hinzugekommen. Woran liegt es also, daß die Bundesanwaltschaft JETZT eine neue "RAF-Generation" aufmacht - mit null Beweisen?

Die Behörde ist verzweifelt. Fortgesetztes Versagen seit mindestens 15 Jahren, Druck von allen Seiten, die Anschläge endlich aufzuklären, zerren an den Nerven. Der Erklärungsdruck macht dem Generalbundesanwalt zu schaffen. Er muß irgendetwas präsentieren. Nach dem offiziellen Ende der "RAF" vor wenigen Jahren hat die Ermittlungsbehörde nun die nackte Existenzangst gepackt.

Das allzu durchschaubare Manöver mit dem angeblichen Grams-Haar, mit dem die Verantwortung für die Anschläge der dritten Generation auf einen Toten geschoben werden soll, reicht zudem nicht mehr aus beziehungsweise hat den Druck noch verstärkt. Deshalb wird nun auf völlige Phantome wie Staub und Klette zurückgegriffen. Den toten Grams hat man immerhin schon mal physisch wahrnehmen können, Staub und Klette geistern immer nur durch die Verdachtskonstruktionen von BAW und BKA, sollen allenfalls mal schemenhaft auf irgendwelchen Fotos aufgetaucht sein.

Beachtlich übrigens, wie die Bundesanwaltschaft einmal mehr ihren eigenen Irrtum als Erkenntnis verkauft. Wenn es nämlich stimmen würde, daß sich die "RAF" nur kurze Zeit nach ihrer Selbstauflösung wieder formiert hätte, wäre das die endgültige Bankrotterklärung für BAW, BKA und Verfassungsschutz. Schließlich haben diese Behörden das "Auflösungspapier" der Dunkelmänner als DIE Abschlußerklärung der "RAF" verkauft und das Kapitel "RAF" in der Bundesrepublik damit offiziell abgeschlossen. April, April?

"Es bleibt der Verdacht", schreibt die taz, "dass hinter den letzten RAF-Meldungen die Furcht der Ermittler steht, sie könnten als erfolglos und überflüssig erscheinen."

Link zum Original-Artikel: http://www.gerhard-wisnewski.de/Bucher/Das-RAF-Phantom/Archiv-News-um-die-RAF-vom-Feb-2001-bis-Juni-2001.html

Autor: Gerhard Wisnewski

Datum: 21.5.01