Bingo, Herr Grams!
Der Meisterschütze von Bad Kleinen und seine Trefferquoten
Wer konnte am besten schießen in Bad Kleinen? Der "Terrorist" Grams oder die Polizei? Die Antwort scheint nicht schwer zu fallen, immerhin waren dort nicht nur Beamte des BKA, sondern auch der sagenumwobenen Truppe GSG 9 versammelt. Deren Schießausbildung ist vom Allerfeinsten. Schießen aus Hubschraubern und fahrenden Kraftfahrzeugen steht ebenso auf ihrem Trainingsplan wie Schießen mit Zielfotogerät in realistischen Geisellagen oder Combat-Schießen bei verschiedenen Beleuchtungseffekten und bei Dunkelheit. Die Trefferquote beim Hubschrauberschießen liegt in der Regel bei 85 Prozent.
Obwohl also eigentlich klar sein sollte, wer die Meisterschützen am 27. Juni 1993 in Bad Kleinen waren, war alles natürlich ganz anders. Laut Bundesregierung sollen die Supermänner in Bad Kleinen rein gar nichts getroffen haben. Die im Combat-Schießen (also im gezielten Todesschuß) ausgebildeten Männer sollen Wolfgang Grams nur unerheblich verletzt haben, und ihren eigenen Mann Newrzella sollen sie selbstverständlich auch nicht erledigt haben. Irgendwie versagte das ganze Schießtraining in Bad Kleinen, und der eigentliche Meisterschütze ist deshalb kein Mitglied der Super-Anti-Terror-Truppe, sondern - wir ahnen es - Wolfgang Grams.
Locker spielt er mit seiner Czeska 75 die ganze Edeltruppe an die Wand und degradiert sie allesamt zu Sonntagsschützen. Der ehemalige Taxifahrer und Hausbesetzer entwickelte wahre James-Bond-Qualitäten.
Alles in allem vollbringt Grams folgende Meisterleistungen:
1. Als er, durch GSG 9-Beamte im Fußgängertunnel aufgeschreckt, die Treppe zum Bahnsteig 3/4 hochrennt, dreht er sich, oben angekommen, um und feuert aus der Drehung heraus mehrmals in den Treppenschacht hinein. Und das in einem Moment, als ihn der verfolgende GSG 9-Mann Newrzella fast schon ergriffen haben soll. Wer sich aus vollem Lauf umdreht, kommt jedoch zwangsläufig dabei zum Stehen. Newrzella hätte Grams also in diesem Moment ergreifen können.
Doch lassen wir diese kleinlichen Zweifel. Aus der Drehung heraus trifft Grams vielmehr den rennenden GSG 9-Mann Newrzella in den 5er Bereich. Das ist beim Combatschießen der absolut tödliche Bereich, bei dem mehrere Lebensadern gleichzeitig zerstört werden können (Herz/Aorta, Luft-,Speiseröhre, Wirbelsäule). Bingo, Herr Grams!
2. Gemach, gemach. Das ist ja noch nicht alles. Vielmehr schaffte es Grams, in der Verfolgungssituation noch zwei weitere Treffer bei dem rennenden Newrzella anzubringen, nämlich in den Beinen und im Gesäß. Und während der Treffer in die Brust einen schrägen Schußkanal von oben nach unten aufweist, sind die Schußkanäle in den Beinen und im Gesäß waagerecht. Mal ganz davon abgesehen, wie man es schafft, von vorne zu schießen und den Gegner in den HIntern zu treffen.
Das alles ist noch nie dagewesen, sollte man meinen. Doch, doch, war es schon. Sowas nennt man Magic Bullet (magische Kugel). Zu solchen Phänomenen kommt es immer dann, wenn Polizeibehörden einen Attentatsverlauf zusammenlügen, pardon, erklären. Daß Kugeln fliegen können wie die Brummkreisel ist erwiesen, seit bei dem Attentat auf John F. Kennedy ein einziges Geschoß gleich mehrere Kurven drehen und verschiedene Personen treffen konnte.
3. Solche Kabinettsstückchen sind für Grams aber nur die Vorspeise. Darüberhinaus soll er auch noch die Newrzella nachfolgenden Beamten mit drei Schüssen getroffen haben, zusammen mit den drei Treffern bei Newrzella macht das sechs.
4. Doch der siebte folgt sogleich. Als nächstes setzt er (immer laut staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen), als er rückwärts vom Bahnsteig fällt, die Waffe an, schießt sich in den Kopf und ist sofort tot. Treffer Nr. 7.
Gesehen hat das übrigens niemand, nicht mal die GSG 9-Beamten, die ihren Gegner doch im Visier gehabt haben müssen. Gesehen haben dagegen mindestens zwei Personen, wie Grams von GSG 9-Beamten auf dem Bahnsteig erschossen wurde. Aber da ein deutscher Staatsanwalt natürlich weiß, daß das nicht sein kann, muß es einfach ganz anders gewesen sein: Auf dem Bahnsteig hat Grams noch gelebt, auf dem Gleis war er tot. Deswegen gibt es nur eine Erklärung: Irgendwo dazwischen muß er sich ganz einfach selbst erschossen haben - also im Fallen.
Und das ist dann sozusagen die finale Meisterleistung. Denn normalerweise ist das so ziemlich ausgeschlossen. Vielmehr wird ein rückwärtsfallender Mensch zunächst reflexartig die Arme ausbreiten. Um diesen Reflex zu unterdrücken, den Entschluß zum Selbstmord zu fassen und durchzuführen, bedarf es komplexer kognitiver und bilanzierender Vorgänge.
Daß diese in jenen Sekundenbruchteilen des Fallens ablaufen und zu einem "todsicheren" Ergebnis führen können, dürfte normalerweise ausgeschlossen sein: Viele Selbstmörder treffen schon in einer Ruheposition nicht richtig, da sie die Waffe nicht unbedingt senkrecht auf den Schädel kriegen, aufgeregt, widersprüchlich sind etc. So zielen sie mitunter an den lebenswichtigen Zentren vorbei und brauchen mehrere Schüsse, werden nur schwer verletzt etc. Nach Untersuchungen in den USA beträgt die Überlebensrate bei Selbstmordversuchen mit Schußwaffen 10 bis 30 Prozent. 1994 überlebte in Massachussetts jedes dritte Opfer einer selbst beigebrachten Schußwaffen-Verletzung zumindest den Transport ins Krankenhaus. 16 Prozent überlebten den Schußwaffenangriff auf sich selbst langfristig. All diese Angriffe wurden natürlich nicht in einer Extremsituation im Rückwärtsfallen und nach einem Schußwechsel mit zahlreichen Gegnern durchgeführt.
Eine zusätzliche Schwierigkeit dürfte das Beharrungsvermögen und damit die Manövrierfähigkeit der Waffe im Fallen sein. Eine geladene Czeska 75, mit der Grams geschossen haben soll, wiegt mehr als ein Kilogramm. Der Schütze hat also im Fallen das Äquivalent einer vollen Milchtüte oder Einliter-Wasserflasche millimetergenau zu manövrieren.
Ein Schelm, wer da ins Zweifeln kommen wollte. Die Bad Kleinen-Ballerstatistik beweist nämlich, daß es sich bei Grams ganz einfach um einen Ausnahmeschützen handelte.
Da sich nach der Schießerei in der Grams zugeschriebenen Waffe noch fünf Schuß befunden haben sollen (vier im Magazin und einer im Patronenlager), kann er maximal elf Schüsse abgefeuert haben. Das Magazin der von ihm angeblich benutzten Czeska 75 faßt 15 Schuß. Bei sieben Treffern (zwei davon Volltreffer, bei sich und Newrzella) wäre das dann eine Trefferquote von über 63 Prozent.
Schauen wir uns zum Vergleich die Bilanz der Supertruppe GSG 9 an. Von angeblich insgesamt 33 abgefeuerten Schüssen sollen die wackeren Mannen bei Grams fünf Treffer erzielt haben. Im Gegensatz zu Grams brachten sie dabei keinen Volltreffer an. Alles in allem macht das nicht etwa die übliche GSG 9-Trefferquote von 85 Prozent, auch nicht die 63 Prozent von Wolfgang Grams, sondern nur 15 Prozent.
Und damit können wir die GSG 9 wohl endgültig von allen Mordvorwürfen entlasten. Denn das ist nun endlich der Beweis, daß sie gegen einen Pistolenhelden wie Wolfgang Grams gar nichts ausrichten konnte.
Quelle Originalartikel: http://www.gerhard-wisnewski.de/Bucher/Das-RAF-Phantom/Archiv-News-um-die-RAF-vom-Feb-2001-bis-Juni-2001.html
Autor: gerhard Wisnewski
Datum: 27.6.2001